Secundino Hernández
ENTEROS
31 Aug – 11 Oct 2025
Mit einer schwarzen, mächtigen Leinwand wird fast zwangsläufig das ganz große Fass der Assoziationen aufgemacht. Schwarze Löcher, Existenzialisten, Tod und Teufel, Punk vielleicht oder Metal, überhaupt Subkulturen, das »Anti-« vor dem Substantiv, Trauer oder Freude, je nach kultureller Prägung, sowieso die Kunstgeschichte: Jahrhunderte voller Finsternis, bevor die Moderne kam und mit ihr nicht nur das elektrische Licht, sondern auch die weiße Leinwand. Danach und dazwischen: Ad Reinhardt, Goya, das Schwarze Quadrat von Malewitsch. Oder auch Mick Jagger, der am 6. Mai 1966 dem Wunsch, die ganze Welt schwarz malen zu wollen, eine Weltschmerzhymne andichtete: »I see a red door / And I want to paint it black / No colors anymore / I want them to turn black // Schwarz wie die Nacht, schwarz wie Kohle, schwarz die ganze Sonne, ausgelöscht vom Himmel, I wanna see it painted, painted, painted / Painted black, yeah.« Wo Schwarz ist, könne demnach keine Farbe sein, und wo Farbe war, soll alles schwarz werden.
Und natürlich zieht es uns zu sich hinein in den Abgrund, das Schwarz, als Antagonist des Lichts und damit vermeintlich ebenfalls der Farbe. In diesem Sinne erscheinen auch Secundino Hernández’ neue Bilder erst einmal als ausgesprochen existenzialistische Angelegenheit. Der Ausstellungstitel, den der Künstler seiner Serie gegeben hat, könnte diesen Eindruck bestätigen: Enteros, mächtig, eine Entität. Ein großes Ganzes tritt gegenüber, eine Wand aus Schwarz, die Leinwand dichtgemacht. Aber welches Schwarz, Schwarz, Schwarz? Der Firnis ist hauchdünn. Und die Nähte, die den Malgrund in dichtem Stich scheinbar verschlossen halten, könnten das Bild im nächsten Augenblick ebenso gut schon wieder aufreißen lassen.
Aus der Nähe betrachtet sind die schwarzen Leinwände gerade keine hermetischen Monolithen. Um dies zu sehen, muss man ihnen freilich gegenüberstehen, an ihnen entlang gehen, im besten Falle sich von ihnen umzingeln lassen. In der Gegenüberstellung der unterschiedlichen Formate und Abmessungen wird deutlich, dass Schwarz nicht Schwarz ist. Nach und nach schimmert Farbe durch die vermeintlich monochrome Deckung. Nachbilder von Blau, Grün, einem hellen Rot, dunklem Gelb oder Mahagoni, die einmal gesehen kaum wieder ungesehen werden können. Umgekehrt lässt sich auch das Schwarz nicht ausblenden: Der Künstler hat es bis an den Point-of-no-Return aufgetragen – so weit, dass jegliche Helligkeit verschwindet und nicht wieder rückholbar ist. Aber eben auch keine Lage weiter.
Secundino Hernández arbeitet als Künstler stets gegen die Ausbildung einer Formel an, wohlwissend um die Ironie eines solchen Unterfangens – auch das wird, mindestens in der Logik eines Textes wie diesem, retrospektiv zum Label. Insofern ist die eigene Arbeitspraxis wohl immer auch ein Match mit dem und gegen das eigene Handwerkszeug. So sind rote Serien entstanden, Leinwände ohne rechte Winkel, mit reliefdicken Schichten an Farbe und solche, auf denen der Künstler die getrockneten Farbschichten mit dem Hochdruckreiniger wieder abträgt, ein Hinzufügen und Wegnehmen. Doch auch das ist allenfalls Anekdote. Hernández sucht, was über die Repräsentation und das Geschichtenerzählen hinaus geht. Malerei transformiert Bedeutung in etwas anderes, noch Unbenanntes: »Vielleicht nichts, vielleicht etwas.« Neues, Anderes, Nichtidentisches. Mehrfaches und Vielfaches.
Seine nur auf den ersten Blick monochromatisch schwarzen Bilder sind der nächste, vielleicht zwingende Schritt auf diesem Weg. In ihnen verdichtet, was sich durch die gesamte Arbeit zieht. Die immer virulente Frage, was ein Bild sein kann. Zu dieser Zeit, an diesem Ort, aber frei vom Geschmack du jour. Sicherlich auch von dem, was gerade am leichtesten fallen würde. Malen wider das Klischee von Malerei, explizit auch die der Abstraktion, der eingeschliffenen Virtuosität, die sich nach Jahrzehnten im Atelier einstellt. Secundino Hernández arbeitet in Bewegung und Gegenbewegung – aus einer Serie ergibt sich oft die drängende Notwendigkeit, das nächste Mal komplett anders zu beginnen. Fragen zur Weltlage, die nur in Malerei sich übersetzen, aber nie als lässig konsumierbare Antwort wieder herausextrahieren lassen, fließen nebenbei in den Malprozess ein. Dabei gibt es Querverbindungen zu vorherigen und womöglich auch wieder zukünftigen Arbeiten: Das Nachglühen der Farbe, die vielfach genähte Leinwand, deren akkurat gehämmerten Stiche gezeichneten Linien nachempfunden sind und die sich zugleich wie ein Mikrorelief aus der Bildfläche erheben.
Zu wissen, woher das Schwarz kommt, welche Verwandtschaften sich zwischen den Serien auftun, verändert bekanntlich das Bild. Wie zum Beleg hängen in den Kabinetten weitere Bilder aus ähnlicher Zeit: Es sind kleinere Arbeiten, in Farbe – repetitiv, rhythmisch aufgetragen, die beige Leinwand darunter deutlich sichtbar. Im Grunde, sagt der Künstler, male er immer das gleiche Bild und doch ist der Versuch ja, sich dabei niemals zu wiederholen.
Spielt die Endlichkeit eine Rolle in dieser Malerei? Die existenzielle Dringlichkeit kann das Schwarz nicht abschütteln, aber wenn die Enteros-Serie mit der Vorstellung letzter Bilder flirten mag, dann muss diese Idee noch lange nicht eingelöst werden. »Its more about what you think than what it is,« sagt Hernández gern über seine eigenen Bilder wie über Malerei, die er schätzt. Diego Velázquez’ Las Meninas kommt in den Sinn: Die vielleicht erste verbriefte Meta-Malerei zu einer Zeit, als jene in Spanien eher als Handwerk denn als Kunst galt. Malerei über das Malen. Mit Protagonisten, deren Blicke in alle Richtungen über sich selbst in die Welt hinaus deuten.
Die Leinwand ist ja die Leere, das Nichts, insofern immer schon Reflexionsfläche. Erst für den Künstler, dann für ihr Publikum. Wenn man sie nun schwarz einfärbt, führt das zu schönen Paradoxien. Absorbiert sie doch das Licht, schluckt jegliche physikalische Möglichkeit zur Spiegelung, wird die freie Assoziationskraft offenbar umso größer. Durch das Zumachen der weißen Fläche eröffnet sich ein Zustand ungeahnter Weite. Es geht nicht unbedingt um den zweiten oder dritten Blick, sondern um den längeren.
Bei alldem bleiben die Enteros radikal ›anti-instagrammable‹. Nicht nur die Handykamera kapituliert. Mindestens braucht sie ein Gegenüber, um die Farbwerte annähernd berechnen, um sie gegenüber einer Außenwelt abgleichen und einschätzen zu können. Oft bleibt es aber bei einem Entweder / Oder. Die Gleichzeitigkeit lässt sich schwer abbilden, nur in körperlicher Präsenz nachvollziehen. Secundino Hernández’ neue Arbeiten sind vielleicht unwillkürlich – aber was heißt schon unwillkürlich im Malereiprozess, der ja intuitiv sich ans Weltgeschehen heftet – eine Nichtteilnahme am tagesaktuellen Algorithmus, der Farben wie Statements leuchtend bis knallig bevorzugt.
So wird der Zwischenzustand zum modus operandi dieser Bilder. Die Enteros changieren zwischen Leichtigkeit und Schwere, Leere und Fülle, Schwarz und Nicht-Schwarz, Bedeutung und absoluter Bedeutungslosigkeit. Keine Gesten und Symbole, an die sich der Blick haften könnte, nur ein Nachglühen einzelner Farben auf der Netzhaut. In einer Gegenwart maximaler Reflexion, in der Jeder und Alles zur ultimativen Projektionsfläche des verlängerten Selbst werden, ist die nur vermeintlich schwarze Leinwand das vielleicht radikalste, das der Maler in diesem Moment anbieten kann.
Lange nachdem diese Bilder gemalt sind und kurz bevor dieser Text zu Ende geschrieben ist, schickt Secundino Hernández eine Entdeckung. Die Google-Bildersuche, nie zuvor bemüht, spuckt ganz verschiedene Varianten einer Bildikone aus: Auch Malewitsch’ Schwarzes Quadrat ist nicht eines, sondern viele. Unter der Oberfläche schimmert das Schwarz mal Blau oder Grün, warm oder kühl.
An all black, imposing canvas almost inevitably opens up a whole can of associations. Black holes, existentialists, death and the devil, probably punk or metal, subcultures either way, the prefix »anti-« before nouns, grief or joy depending on cultural background and of course art history: centuries full of darkness before modernity emerged, bringing forth not only electric light but also the white canvas. After that and in between: Ad Reinhardt, Goya, Malevich’s Black Square. Or even Mick Jagger, responding to the desire to paint the entire world black with a dark, world-weary hymn on May 6, 1966: »I see a red door / And I want to paint it black / No colors anymore / I want them to turn black // Black as night / Black as coal / I wanna see the sun / Blotted out from the sky / I wanna see it painted, painted, painted / Painted black, yeah.« Where there is black no other color were to thrive and where there was color everything is to become black.
And, surely, it pulls us into the abyss, the black that is, as the antagonist of light and supposedly of color as well. This in mind, Secundino Hernández’ new paintings might, at first glance, seem to be a pretty existentialist affair. The title the artist has given to his series appears to confirm this assumption: Enteros, vigorous, an entity. A massive whole confronts us, a wall of black, the canvas sealed. But what kind of black, black, black? The varnish is wafer-thin. And the stitching that seems to hold the painting surface tightly sutured could, just as easily, tear the image open again in an instant.
From up close, the black canvases are not hermetic monoliths at all. In order to behold this, you have to stand in front of them, walk along them or, ideally, let them surround you. Juxtaposing the different formats and dimensions, it becomes apparent that black is not black. Gradually, color shimmers through the supposedly monochrome coating. Afterimages of blue, green, a light red, dark yellow or mahogany – which, once seen, can hardly be unseen. In turn, the black can’t be ignored: the artist has applied it to the point of no return – in such a manner that any brightness fades, never to be brought back. However, also no layer further.
As an artist, Secundino Hernández constantly works against the formation of a formula, well aware of the irony in such undertakings – a trait, at least in the logic of a text like this, which retrospectively becomes a label. Inasmuch, his own practice is a permanent match with and against his own means. This resulted in red series, canvases without right angles, canvases with thickly layered reliefs of paint and others upon which the artist erased the dried paint layers with a high-pressure cleaner, adding and taking away. Yet, at best, all of this is anecdotal. Hernández searches for something that goes beyond representation and storytelling. Painting transforms meaning into something else, unknown: »Perhaps nothing, perhaps something.« Something new, something different, something non-identical. Something multiple and manifold.
His images, monochromatic only at first glance, are the subsequent, possibly inevitable step on this path. They condense properties found throughout his whole œuvre: the ever-pressing question of a painting’s capabilities. Right now, right here but free from any taste du jour. Certainly also free from what would the simplest solution. Painting against the cliché of painting, explicitly abstraction and the virtuosity resulting from decades in the studio. Secundino Hernández works in movement and counter-movement – every series creates the urgent need to restart completely differently. Questions about the state of the world that can only be translated into painting but never extracted as casually consumable answers, inform the painting process just as much. There are cross-references to previous and possibly future works: the afterglow of the paint, the canvas stitched together multiple times, with accurately hammered pierces modeled after drawn lines which, at the same time, stand forth from the image surface like a micro-relief.
Knowing where the black comes from and which degrees of kinship exist between the series commonly impacts the images. As if to prove this, there are additional paintings from around the same time, hanging in the surrounding cabinets: smaller works in color – repetitive, rhythmically applied, the beige canvas clearly visible beneath. Essentially, says the artist, he always paints the same image, yet the challenge always is to never repeat himself.
Does finitude have a part in this kind of painting? Black can never shake off the existential urgency but even if the Enteros series flirted with the idea of final images, there is no rush to realize this idea anytime soon. »It’s more about what you think than what it is,« Hernández likes to suggest, when it comes to his own paintings and such he admires. Diego Velázquez’ Las Meninas for instance: perhaps the very first example of meta-painting at a time when painting in Spain was considered more crafty than arty. Painting about painting. With protagonists whose gazes point into all directions, beyond themselves and out into the world.
The canvas being emptiness, nothingness, and therefore always a reflective surface. First and foremost for the artist, then for its audience. Painting it black leads to marvelous paradoxes. Once it absorbs all light, swallows any physical possibility to reflect, the power of free association becomes all the greater. By sealing the white surface a state of unimagined vastness opens up. It’s not necessarily the second or third glance but a longer one.
In all this, the Enteros are radically »anti-Instagrammable.« Not just one’s cell phone camera capitulates. At the very least, it needs a vis-à-vis to approximately calculate the color values, to compare them with the surroundings and assess them properly. More often than not, it makes do with a mere either / or. Simultaneity is difficult to depict, only to be comprehend through physical presence. Secundino Hernández’ new works may be an involuntary – but what might involuntary mean within the painting process, which intuitively is attached to the world’s goings-on – non-participation in the daily algorithm that favors bright and garish statement colors.
The in-between thus becomes the modus operandi of these images. The Enteros oscillate between lightness and heaviness, emptiness and fullness, black and non-black, meaning and absolute meaninglessness. No gestures or symbols to catch the eye, only the afterglow of individual hues upon the retina. In a present of maximum reflection, in which everyone and everything becomes the ultimate surface of projection for the extended self, only the seemingly black canvas appears to be the most radical thing the painter can offer today.
Long after these paintings were completed and shortly before this text was finished, Secundino Hernández emails a discovery. The google image search, never used before, spat out completely different variations of an iconic image: Malevich’s Black Square is not one but many. Beneath the surface, the black shimmers blue or green, warm or cool.
Text: Katharina Cichosch
Translation: Alexander Serner