Lost & Found
Jul 26—Sep 13 2016
Michael Beutler, Tom Burr, Abraham Cruzvillegas, Anna Fasshauer, Georg Herold, Martin Kähler, Martin Kippenberger, Imi Knoebel, Meuser, Reinhard Mucha, Andreas Slominski, Monika Sosnowska und Franz West. Eine Aufzählung die vermuten lässt, was tatsächlich Programm ist - es wird voll in der Galerie Bärbel Grässlin.
Der Titel „Lost & Found“ gibt dabei nicht nur einen Hinweis auf die Art wie, die Werke im Raum angeordnet sind, nämlich wie in einem Fundbüro. Der Titel verweist aber auch auf den Ursprung der einzelnen Arbeiten. Denn was sie gemeinsam haben ist, dass sie aus gefundenen Materialien bestehen, die von den KünstlerInnen in ihrer je eigenen Manier ver- und bearbeitet wurden. So besteht etwa Michael Beutlers „Kartenmangel“ aus Dachlatten und Papprollen, Kupferrohr und einem Baumwollstrumpf. Mit ihr werden Einladungskarten in Serie von Hand zu Unikaten gedruckt. Tom Burr zeigt einen freistehenden Heizkörper, an dem ein rotes Plastiktape hängt. Betrachtet man „Red Tape“ vor dem Hintergrund seines restlichen Oeuvres, das sich oft mit der dunklen Seite der Queer- und Sadomasoszene auseinandersetzt, bekommt das Bild des roten Bandes, das die Heizung wie ein Geschenkband ziert, eine sehr zweideutige Anmutung. Der mexikanische Künstler Abraham Cruzvillegas arbeitet mit den sozialen, politischen und ökonomischen Gegebenheiten seiner Heimatstadt Mexico City. Das improvisierte Baumaterial, aus zweckentfremdeten Schildern, Wellpappen und anderen Verbundmaterialien wird freigestellt im Ausstellungsraum gezeigt. Als künstlerisches Objekt tritt es an, eine Brücke zu schlagen zwischen der Ästhetik der Improvisation und der Auseinandersetzung mit den prekären Wohnsituationen in den mexikanischen Favelas. Anna Fasshauer arbeitet mit den Materialien, die sie als Abfall auf den modernen durchoptimierten Baustellen ihrer Heimatstadt Berlin findet. Als Zeuge für die Geschwindigkeit, mit der dort Gebäudekomplexe hochgezogen werden, stehen die Reste von Fertigbaukonstruktionen, wie etwa Aluprofile, aus denen viele ihrer Arbeiten bestehen. Reinhard Mucha arbeitet intensiv mit den Materialinformationen, die er in seinen Arbeiten zu komplexen Skulpturen vereint. Georg Herold zeigt „Datenschutz“ – Umzugskartons, die analoge Datensammlungen, wie etwa den heimischen Speicher unterm Dach, anfüllen. Sie entstand 1983 als die beginnende Digitalisierung die Frage nach der Sicherheit individueller Informationen aufwarf, eine Problematik, die bis heute an Brisanz nichts verloren hat. Martin Kähler hat bemalte Offsetdruckplatten gemeinsam mit Armierungsstahl und handgeschmiedeten Kruzifixnägeln zu einer raumgreifenden Wandskulptur geformt. In der Mitte des Raums liegt seine Lidltüte, die innen mit Blattgold ausgekleidet ist. Ein Verweis auf die zur Täuschung der Diebstahlsensoren von Edelboutiquen mit Metall ausgekleideten Einkaufstüten, aber auch ein Luxusobjekt in bescheidenem Gewand. Imi Knoebels Arbeit erlaubt einen Blick zurück in die Vergangenheit, als er in den frühen 80er Jahren begann, die skulpturale Arbeit malerisch zu verhandeln. So ist „Radio Beirut“ eine Kombination von einem seiner ersten Ritzbilder mit einer zusammengeschweißten Stahlkonstruktion, die in ihrer Machart ins Organische zu streben scheint. Meusers Inspirationsquelle ist der Schrottplatz. Seine Arbeiten treten durch ihre spezielle Oberflächenbehandlung in einen neuen Kontext und werden so zu wesenhaften Objekten. Andreas Slominskis Arbeit „UVW 645“ besteht aus Kunststoff und Nieten. Es ist das Material, aus dem handelsübliche Dixieklos bestehen. Reliefs wie dieses sind aktuell in der Ausstellung „Das Ü des Türhüters“ in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen. Die polnische Künstlerin Monika Sosnowska setzt sich in ihren Arbeiten mit der Formensprache der konstruktivistischen Avantgarde und dem Erbe der modernistischen Architektur ihrer Heimatstadt Warschau auseinander. In ihrer Arbeit „Rubble“ scheint sich der massive Armierungsstahl mit Anhaftungen von Beton zu verflüssigen. Das so entstandene Knäuel spielt mit den architektonischen Aspekten wie Monumentalität und Massivität und wird zu einer Zeichnung im Raum. Franz Wests „Labstück“ entstand in Kooperation mit Herbert Brandl. Es ist eine Flasche am Stiel, die von ihrem Besitzer in regelmäßigen Abständen gefüllt werden soll, um sich an der Kunst zu laben.
Die aktuelle Schau in der Galerie Bärbel Grässlin ist umfangreich was die Verweise, Verflechtungen und Bezüge angeht, die ihre Arbeiten zeigen. Was sie verbindet ist ihre Ortsspezifität. Denn sie alle stehen in enger Verbindung zu ihrem jeweiligen Fundort, den die KünstlerInnen in den Ausstellungsraum mitnehmen.
Marina Rüdiger