Galerie Bärbel Grässlin

Imi Knoebel
Weiss Schwarz
Nov 6Dec 23 2010

 Eine ganze Welt. Zu den aktuellen Arbeiten von Imi Knoebel

Mit einer einzigen Ausnahme präsentieren alle gezeigten neuen Werke von Imi Knoebel, die sich in spielerischen Variationen zeigen, den einen farblichen Grundkontrast schlechthin, in dem zugleich alle nur möglichen Farben bereits enthalten sind, nämlich denjenigen zwischen Schwarz und Weiß. Denkt man sich zunächst in die Geschichte der modernen Malerei zurück, die für Imi Knoebel seit Beginn seiner künstlerischen Laufbahn in der legendären Düsseldorfer Beuys-Klasse eine wesentliche Inspirationsquelle war, dann kommt man unweigerlich zur Ikone der gegenstandslosen Kunst: zum berühmten wie berüchtigten Schwarzen Quadrat auf weißem Grund des russischen Künstlers Kazimir Malewitsch aus dem Jahr 1915, gemalt am Vorabend der Russischen Oktoberrevolution, in der sich die politischen und entsprechend sozialen Verhältnisse grundlegend ändern sollten. Die Kunst lieferte hierfür gleichsam eine neue Bildsprache, die wenigstens bis zur Diktatur unter Lenin und Stalin und dem von ihnen nachhaltig verordneten Sozialistischen Realismus mit größten Utopien und Hoffnungen verbunden war.

Das Schwarze Quadrat sollte gleichsam das Axiom und die Matrix für eine neue, von Narration und Abbild gänzlich losgelöste und von herkömmlichen Hierarchien befreite Bildsprache sein, aus der durch Drehung, Teilung und Addition alle nur denkbaren Formen entstehen können. War das Schwarze Quadrat jedoch immer noch auf dem weißen Grund einer notwendig zweidimensionalen Leinwand gemalt, ging Imi Knoebel, ganz im Zeichen des „Ausstiegs aus dem Bild“ aus der Zeit um 1968, einen entscheidenden Schritt weiter: Er löste die Form des Quadrats aus dem flächigen Geviert des Tafelbildes heraus und machte es zu einem eigenen Objekt im Raum, dessen eigentlicher Bildgrund wiederum nun die weiße Wand ist. Die Objekte, bestehend aus dünnen Aluminiumplatten, die einen völlig glatten Malgrund bilden und jeweils auf ein stabiles Gerüst montiert sind, werden in anspruchsvollem Handwerk regelrecht gebaut, bevor sie in gleichmäßig rhythmischen Pinselschwüngen bemalt werden und so ihre fein strukturierten und hochsensiblen Farboberflächen erhalten. Die durchweg großformatigen Arbeiten entfalten so eine maximal potenzierte Wirkung auf ihre Betrachter.

Am eindringlichsten, weil physisch mit dem eigenen Körper am stärksten erlebbar, macht dies das größte unter den gezeigten Werken deutlich: der Ort. Es bildet aus fünf großflächigen Aluminiumplatten einen begehbaren Farbraum, in den die Betrachter regelrecht eintauchen können. Das vormalige Tafelbild mit seiner Illusion von Bild und Grund hat sich hier offensichtlich in den real zugänglichen Ort einer Installation verwandelt, in welchem die Betrachter selbst integrale Bestandteile der Kunst werden.

Ansonsten dominieren in den übrigen Arbeiten, die allesamt aus aktuellen Werkserien dieses Jahres entstammen, die drei- oder viereckigen Formen, die, aus zwei faktisch voneinander getrennten Tafeln, wiederum vier- oder fünfeckige Objekte bilden, die frei und leicht an der weißen Wand zu schweben scheinen. Ihre Zusammensetzung ist zugleich so kalkuliert, dass sie in unserer Wahrnehmung automatisch als Kippbilder erscheinen, die sich zwischen der optischen Illusion eines dreidimensionalen Gebildes und der Flächigkeit eines planen Bildes hin und her bewegen. Sieht man das eine, kann man zugleich nicht das andere sehen und umgekehrt. Einmal erscheint die Illusion eines spitzwinkeligen Daches oder einer schräg in den Raum gestellten Pyramide (, dessen rätselhafte ägyptische Monumentalbauten Imi Knoebel seit jeher faszinieren); während ein anderer Blick wörtlich nur ein aus Schwarz und Weiß zusammengesetztes unregelmäßiges und planes Viereck an der Wand wahrnimmt.

Man merkt Imi Knoebel auch in seinem siebten Lebensjahrzehnt förmlich das spielerische, experimentelle wie sinnliche Vergnügen an, das er an der freien Gestaltung dieser Werke hat, die einmal mehr zugleich mit genauster Kalkulation und höchster Präzision hergestellt wurden. Der Kosmos der gegenstandslosen Kunst, die Kazimir Malewitsch einmal als Utopie für eine neue Gesellschaft in die Zukunft projizierte, bleibt weiterhin unerschöpflich, wofür das Werk Imi Knoebels einmal mehr der beste Beleg ist. Kaum ein anderer Künstler als Imi Knoebel hat seine gesamte Arbeitsenergie darauf gerichtet, immer neue Konstellationen aus diesem Kosmos hervorzuzaubern. Wie gesagt: In Schwarz und Weiß sind alle nur denkbaren Farben bereits enthalten; und zwischen diesen beiden Polen entspannt sich eine ganze Welt, die ständig im Werden begriffen ist.

Martin Schulz