Georg Herold
oben ohne
Sep 6—Nov 2 2019
Am Eingang der Galerie Bärbel Grässlin wird man von der Skulptur Heyday empfangen. Von vorn sieht man nur die verführerische Geste. Von der Seite wirkt es, als hätte sie gerade eine Kugel gefangen und wäre im Begriff zu Boden zu gehen. Oben ohne – heißt die Ausstellung von Georg Herold. Was zunächst an sonnenhungrige Badeurlauber denken lässt, die sich gern in der Ferne die Blöße geben, ist der Titel einer Schau, die nicht nur auf Georg Herolds langjähriges Schaffen blickt, sondern es auch in den Kontext seiner aktuellen Arbeiten setzt.
Auf dem Dachlattenbild Ohne Titel aus dem Jahr 2019 an der linken Wand des Hauptraums der Galerie steht der Satz: „Dooth not water in his shapes chaunge straungely to and fro?“. Ja, das tut es, das Wasser. Nicht nur nimmt es die Form seiner Umgebung an, es verändert sie auch auf seine Weise. Es gibt und nimmt Formen und fließt dabei immer gleich und doch immer neu. Als Schatzkammer für diesen Gedanken kann die Vitrine aus dem Jahr 1988 gelesen werden. In ihr findet sich viel von dem Material, das auch heute noch der Ausgangspunkt der Arbeiten von Georg Herold ist. Es taucht in immer neuen Formen auf, die das Bisherige weitertragen und stets erneuern. In der Vitrine findet sich etwa ein Backstein, der hier auf Klaus Michael Grüber’s schlagkräftige Faust Inszenierung von 1982 erinnert. Die sich windenden beschrifteten Dachlatten und die mit Beton ausgegossenen Handtaschen, die bestickte Minileinwand und der Mergelstein. Als Skelett ist die Dachlatte sowohl Ausgangspunkt der Arbeit Heyday von 2013 als auch von Brown Betelgeuze aus dem Jahr 1989. Ihre Oberfläche ist mit Kupfer galvanisiert, ein Material, das an den Chitinpanzer eines Käfers denken lässt. Ihr Titel lässt an den Stern Betelgeuze denken, zu dem einst Stanislaw Lem den Protagonisten seiner Sterntagebücher schickte. Der Backstein taucht auch auf den beiden großformatigen Leinwänden im Hauptraum der Galerie auf. Sie scheinen verwandt und haben doch einen sehr unterschiedlichen Charakter. So wirkt die linke aus dem Jahr 1990 solide und straff, als würden ihre Backsteine die Eingrenzung eines sich verjüngenden Weges beschreiben. Die Backsteine der rechten Arbeit aus dem Jahr 1985 hingegen ergeben sich der Schwerkraft und scheinen dabei ihre eigene Leinwand mitzureißen.
Farblich verspielt kommen die neuen Kaviarbilder daher und erinnern an das Bild des sich stets erneuernden Wassers. So nährt der Rückblick auf die frühen Arbeiten nicht nur den Blick auf das, was aktuell entsteht. In ihrer Frische und Innovationskraft bestätigt sie auch die Weisheit, dass man nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen kann.
Marina Rüdiger