Andreas Slominski
Coffins
Mar 15—May 3 2014
Das hölzerne Gebilde erinnert – so schräg, wie es aufragt – an einen freihändigen Nachbau von Wladimir Tatlins berühmtem Turmmodell, das er 1919 zur Feier der russischen Revolution errichtet hat. In einer Galerie, wo Kunst auf Kunst antwortet, scheint es keineswegs selbstverständlich, dass dieses hölzerne Gebilde ein abgesägtes Stück Sarg ist, das auf seinem winkligen Kopfende steht und in sein leeres Inneres schauen lässt.
Man sollte nicht glauben, was für Gestaltvarianten aus dem Grundmodell des Bestattungsgewerbes zu gewinnen sind: Wenn man von einem Sarg das Kopf- oder Fußteil absägt, bekommt man Reliefstücke, die sich auch als Puppenhäuser einrichten ließen. Wenn vom Sargdeckel nur ein schmaler Steg übrig bleibt, sieht der Rest aus wie ein unhandliches Henkelkörbchen. Wenn das Bodenbrett eines Sargs an der Wand hängt, muss man eine Weile schauen, um zu entdecken, dass das rohe Stück ein wenig konisch gearbeitet ist. Und wenn vier Flugkisten übereinandergestapelt sind, hat man eine Skulptur, wie sie die schlichte Minimal Art nicht schlichter hätte erfinden können.
Lange braucht man nicht zu rätseln über die „Coffins“ in der Frankfurter Galerie Bärbel Grässlin. Man sieht gleich, dass alle Formen hier, ob sie auf Sockeln thronen oder an den Wänden hängen, einem ehrbaren Handwerk entstammen, das sich längst in der holzverarbeitenden Industrie aufgelöst hat. Andreas Slominski hat viel darüber gelernt. Er weiß alles über Wulstsärge mit Perlleisten, Prunktruhen mit Klavierlackoptik, Individual-modelle mit oder ohne Palmenschnitzung. Er hat die Sargfabrik besucht und ist dem Tod mit der Kreissäge zuvorgekommen.
Große Manipulationen waren gar nicht erforderlich. Es ist nie so im Werk dieses Künstlers, dass da in der Zufälligkeit des genialischen Augenblicks staunenswerte Schöpfungsleistungen entstünden. Ob Slominski ein mit Plastiktüten behängtes Fahrrad ins Museum stellt oder eine handelsübliche Hochsprunganlage mit Landematte hinter eine Schaufensterscheibe, ob er sich für abgefülltes Mustang-Sperma interessiert oder schwarzes Pigment aus den Knochen eines verbrannten Pferdes gewinnt, ob er mit Tierfallen eine Geschichte der Käfigkunst schreibt oder Garagentore als Wandbilder präsentiert, es fehlt solchen Projekten auf wohltuende Weise das Obsessive, die vulkanische Temperatur, die von unbändigem Gestaltdrang zeugen würde. Vor allem aber fehlt ihnen das Elitäre, mit dem sich die Kunst immer wieder als abgründiges Geheimnis entwirft, über das nur der Künstler wirklich verfügt.
Alles in diesem Werk ist sorgfältig recherchiert und von langer Hand geplant. Slominski arbeitet mit der Präzision eines Designers, bei dem die Entwurfsarbeit mit detaillierten Gebrauchsvorstellungen und Funktionsabschätzungen zusammenfällt. So scheinen auch die Sargobjekte mit Arg- und Hinterlist aufs Normalmaß unserer Empfindlichkeiten zugeschnitten. Und wenn von diesen „Coffins“ auch nur die unfeierlich formale Erinnerung geblieben ist und das eine oder andere Stück mit ironischer Leichtigkeit vergessen macht, dass es zu den makabren Utensilien gehört hat, dann triggern sie alle doch sehr verlässlich die unguten Empfindungen an. Befreit vom Bombast, mit dem die Verschlusssache Tod umgeben wird, trifft Slominskis Sargtischlerei zielsicher auf die emotionale Abwehr.
Särge sind peinliche Möbel. Gegenstände zum vorwiegend visuellen Gebrauch. Schaustücke, deren seltsame Stofflichkeit nur dazu dient, rasch auf die eine oder andere Weise zu verschwinden. Bezeichnend ist ja doch, dass der Banal-Sarg, die einfache kubische Holzkiste, allenfalls als Transportbehälter bei Überführungen Verwendung findet. Bis heute hat sich der Totenkult mit dem rechtwinkligen Bauhaus-Ideal nicht anfreunden können und favorisiert noch immer den rhombischen Querschnitt und die Hausdachform, die die Leiche etwas körperangemessener versiegelt. Eine wirklich befriedigende Antwort, warum ausgerechnet diese Art von Geometrie kanonisch geworden ist, wird man nicht finden. Möglicherweise hat es doch damit zu tun, dass die gute, ästhetisch befriedigende Form spätestens auf dem Friedhof ihre Zuständigkeit verliert. Gerade da wird er dringlich gebraucht, der Kitsch als bewährter Therapeut.
Wie der Künstler die fatalen Gehäuse zerlegt und die Fragmente aufstellt, umstellt, zusammenstellt, das ist von subtiler Bosheit. Eine Vanitas-Predigt sollte man nicht erwarten. Auch ist es nicht so, dass sich die Kunst mit Stilarroganz über den industrialisierten Geschmack erhöbe. Andreas Slominski spielt ein nachdenkliches Spiel mit dem, was wir ertragen und wie wir es ertragen. Er spielt mit den verzierten Sargbeschlägen, die in ihrem barocken Schwung an großes Theater gemahnen und beim Anfassen ihre billige Plastikherkunft verraten. Aber richtig spannend wird sein Spiel erst, wenn man merkt, dass hier niemand etwas anfassen möchte, dass man die Hand ausstreckt und sie schnell wieder zurückzieht. Das eben ist die Lehre der Kunst aus dem Sarg: Man kann vom Sarg ein Stück absägen und hat die bessere Form. Das bessere Gefühl hat man nicht.
“Letzte Formen” von Hans-Joachim Müller in: Welt am Sonntag, 23. März 2014
The wooden structure rises up diagonally, reminiscent of a free-hand remake of Vladimir Tatlin’s famous tower, erected in celebration of the Russian revolution in 1919. In a gallery, where art responds to art, it still seems startling that this wooden structure turns out to be a sawed-off piece of coffin, standing on its angular head end and revealing its insides.
It is quite remarkable how many variations of shapes can be derived from the basic model of the funeral industry: when the head- and foot section of a coffin are sawed off, they result in relief pieces that could easily be dressed up as dolls houses. When a narrow bridge is extracted from the casket lid, the rest looks like an unwieldy shopping basket. When the bottom board of a coffin is hung on a wall, it takes a while to notice that the crude plank is slightly conical. And when four flight cases are stacked above one another, they result in a sculpture that, had it been invented by the plainest Minimal artist, would not look any plainer.
There is no need to puzzle over the coffins in Frankfurt’s Galerie Bärbel Grässlin for long. It is abundantly obvious that all these shapes and forms hanging on the walls or enthroned on plinths originate from a reputable craft that has long since been absorbed into the wood processing industry. Andreas Slominski has learnt much about the original trade. He knows everything there is to know about paneled hardwood caskets with pearl moldings, superior solid wood caskets in high gloss finish and individual models with or without palm leaf carving. He visited the coffin factory and beat death to the punch with a circular saw.
Extensive manipulations were not necessary. The coincidence of an inspired moment in which astonishing creative achievements are evoked is not a part of this artist’s work. Whether Slominski places a bicycle laden with full plastic bags in a museum or a commercially available high jump pit including landing mat behind a shop window, whether he is interested in mustang sperm or extracting black pigment from the bones of an incinerated horse, whether he writes the history of cage art using animal traps or presenting garage doors as painting on a wall, these projects lack—in a pleasant way—a sense of the obsessive, of volcanic temperature, that would bear witness to a boundless need to create. But most of all they lack the elitist attitude of an art that likes to present itself as an unfathomable secret which only the artist himself has access to.
Everything in this oeuvre is well researched and planned well in advance. Slominski works with the precision of a designer, whose design and developmental work coincides with detailed concepts for the application and assessment of the function of the object to be produced.
Thus, the coffin objects also seem to have cunningly and guilefully been tailored to the normal level of our sensibilities. And if all that remains of these “coffins” is the unceremonious formal memory and the one or other allows us with the ease of irony to forget that it was once part of a macabre utensil, then they very reliably trigger unpleasant sensations in us. Freed of the pomposity in which the final matter of death tends to be cloaked, Slominski’s coffin cabinetry accurately penetrates our emotional denial.
Coffins are embarrassing items of furniture. Objects intended primarily for visual use. Displays with strange properties destined only to disappear in the one or other way. What is striking is that the trivial coffin, the simple square box, is at most used for transporting corpses from one place to another. To this day, the cult of the dead has not really taken to the rectangular Bauhaus ideal and still favors rhombic cross-sections and roof like lids that more appropriately to the body’s shape seal the corpse away. You won’t find a really satisfactory answer to why this type of geometry of all things has emerged as canonical. Possibly its progress has to do with the fact that the good, aesthetically pleasing shape ceases to have any validity at the latest at the graveyard. Precisely there, kitsch comes into its own as a proven therapist.
How subtly evil the way the artist saws these fatal casings apart, exhibiting, surrounding or assembling the fragments. A vanitas sermon is not to be expected. And it is also not as if art by stylistic arrogance accords itself some status higher than industrialized taste. Andreas Slominski plays a thoughtful game here with what we can endure and how we endure it. He plays with the ornamental coffin fittings, their Baroque curves reminiscent of great drama, and that, when touched, reveal their cheap plastic origins. And his game first becomes truly exciting when you notice that no one here wants to touch anything, a hand reaches out only to be withdrawn again immediately. And that is the specific teaching of the art from coffins: You can cut a piece off a coffin and it has a better shape to it. But it does not have a better feeling to it.
“Last shapes” from Hans-Joachim Müller in: Welt am Sonntag, March 23, 2014
Translated by Jeremy Gaines