Andreas Breunig
completely incomplete EXTANT (extended)
Sep 10—Oct 29 2022
Bilder im Bild — Bilder mit Bildern
Wie kann man aus Oberflächen und Ebenen ein Artefakt schaffen, das keine Kunst der Plattheiten und Oberflächlichkeiten wäre?
Wie kann man die Leinwand enthüllen und den Grund sichtbar machen?
Wie kann man die Spanne, die Differenz zwischen enthüllter Leinwand und sichtbar gemachtem Grund begreiflich machen, fühlbar machen?
Wie kann man mit diesem Raum mit hohem Grund voller Untiefen, mit diesem Raum zwischen Leinwand und Grund auf fühlbare Weise Sinn gewinnen?
Wie kann man einen Raum zwischen zwei Oberflächen, der keine Tiefe hat, aber auch nicht flach ist, spürbar werden lassen?
Louis Marin
Texturen des Bildlichen
Zürich: Diaphanes, 2006
S. 75
Wie — so ließen sich die Fragen Louis Marins fortsetzen — lassen sich die medialen Funktionsweisen der Malerei kenntlich machen?
Wie lassen sich die gestalterischen und manipulativen Effekte darstellen, die sich normalerweise in der Darstellung selbst verbergen?
Und — viel entscheidender — wie verliert man dabei bitte nicht den Swing?
Andreas Breunig gelingt dies in der radikalen Beschränkung seiner Gemälde auf die Fläche, bei der er jene Effekte kenntlich macht, die sich auf der Oberfläche abspielen und über diese erst vermitteln.
Einzelne Bildelemente werden dabei als Flächenkörper verwendet, die gleichsam aus dem zweidimensionalen Raum herausgeschnitten oder über diesem zu schweben scheinen.
In dieser Art von Layering der Bildfläche, also der Schichtungen multipler Ebenen, nähert er die Malerei den digitalen Bearbeitungstechniken an.
So visualisiert er einzelne Bildelemente als variable Objekte, die scheinbar losgelöst von ihrem Grund auf der Oberfläche arrangiert werden. Dies können eindimensionale Grenzlinien wie Striche oder dünne Farbverläufe sein, die das Verhältnis von Form und Grund erzeugen und zugleich Bewegungen in der Fläche schaffen.
Zum anderen zweidimensionale Formen und Farbfelder, die in ihrer opaken Flächigkeit, die Illusion von dreidimensionaler Räumlichkeit ausschalten.
Bei solchen Ansammlungen und Schichtungen von ein- und zweidimensionalen Elementen kommt es zu Verschiebungen unterschiedlich gelagerter Vorder- und Hintergründe, die den Bildraum in seiner »Oberflächlichkeit« bewusst machen. Denn trotz ihrer Schichtung und des vielfältigen Wechsels des Davor und Dahinter, bleiben die freigestellten Objekte und Linien am Ende doch der obersten Ebene, der »Arbeitsfläche«, verhaftet. Dieser vermeintlich zufällige Effekt entsteht erst durch eine lange Reihe von Setzungen. Im repetitiven Abarbeiten von selbst auferlegten Regeln und Idiotien versucht Breunig permanent, die eigene Arbeitsweise maximal zu stören.
Die Limitierung von Möglichkeiten dient Breunig dazu, sich selbst auszutricksen und so weit wie möglich vom Naheliegenden zu entfernen. Jedes Element, jede Setzung gibt eine Richtung vor und erweitert zugleich das Feld der Möglichkeiten, da mit jeder Bestimmung des einen oder anderen Merkmals zugleich eine andere Seite involviert wird. Die eingrenzenden Eigenschaften der Regel schaffen somit Weite und zeigen auf, in welche Richtungen sich ein Bild entwickeln könnte. Mit jeder neuen Änderung der Parameter und jeder neuen Entscheidung wird etwas anderes in Gang gesetzt.
Im mehrmaligen Durchspielen dieses Prozesses durchläuft Breunigs Malerei unterschiedliche Stadien der Gestaltung. Wobei jede Entscheidung als Reaktion auf den jeweils vorherigen Schritt erfolgt. Ein schlechter, aber vielleicht nicht völlig abwegiger Vergleich: Im Grunde ähnelt seine Arbeitsweise hier den Rechenprozessen artifizieller Intelligenz [sic!], bei der eine Kette von hochkomplexen Operationen der Reihe nach durchgeführt und abgearbeitet werden.
In ähnlicher Weise sind auch Breunigs Bilder von unterschiedlichen Prozessstadien gekennzeichnet, die nebeneinander existieren können, sich abwechselnd hervorbringen oder in Widerspruch zueinanderstehen. Sie präsentieren Vorgänge der gestalterischen Manipulation und Darstellung, bei denen die unwägbaren Möglichkeiten der Darstellung sowie des Dargestellten selbst anschaulich werden. Ihrer Entstehungsweise folgend ist Breunigs Malerei maßgeblich von Fragmenten bestimmt — von abgebrochenen Anfängen und verbliebenen Resten, von Überbleibseln und anderen Sedimenten der Bildbearbeitung.
Was sich zeigt, zeigt sich somit nur in Andeutungen, die, wie die verbliebenen Einkerbungen einer Zaubertafel, auf vergangene Gestalten hindeuten oder umgekehrt, als Konturen einer Erscheinung wirken, die sich noch im Entstehen befindet. Im Zusammentreffen dieser Fragmente kommt es zu Überlagerungen, die permanent neue Bilder im Bild zu erzeugen scheinen. Doch obwohl die einzelnen Bildelemente diskontinuierlich und heterogen sind, sind sie dennoch Teil eines Spannungsfeldes, das empfindlich gestört wird, sobald man ein Element herauslöst und für sich zu betrachten versucht. Sie bilden keine Einheit und sind doch ohne den jeweils umgebenden Kontext unvollständig.
Bei der Betrachtung dieser unterschiedlich gelagerten und doch gleichrangingen Elemente kommt es oftmals zu einer Unterbrechung der zeitlichen Ordnung des Sehens. Der schweifende Blick verlangsamt sich oder gerät ins Stocken. Unsere Augen wandern im Zickzack über die Bildfläche, einem Verweis folgend, der unser Interesse umleitet und plötzlich auf andere Pfade lenkt, die nun ihrerseits wieder von anderen Bezügen durchkreuzt werden. Wir spüren zwar, dass die Zeit vergeht, doch kommt die Betrachtung scheinbar zu keinem Ende.
Noch einmal verstärkt wird diese Art des prokrastinierenden Sehens durch die Übertragung der malerischen Fragestellungen eines Einzelbildes auf ganze Bildreihen. So finden sich viele thematische und gestalterische Auseinandersetzungen in den Werken einer gesamten Reihe wieder, die sich gegenseitig beeinflussen und dann auf die einzelnen Bilder zurückwirken. Diese kommunizieren untereinander und erweitern sich, indem die jeweils zuletzt gesehenen Gemälde als Nachbilder präsent bleiben und die Wahrnehmung beeinflussen.
Die Betrachtung eines Bildes wird somit durch die Wahrnehmung der vorangegangenen in positiver Weise gestört. In diesem Sinne entwickeln sich auch die Gemälde der Frankfurter Ausstellung zu installativen Bildräumen. Sie übersteigen ihre bildimmanenten Grenzen und entwickeln sich zu etwas Organischem, das einem Wachsen oder Wuchern ihrer Oberflächen gleichkommt. Fragmente und Bezüge scheinen mit- und untereinander zu interagieren und erlauben es scheinbar nicht mehr nur, Bilder im Bild, sondern auch Bilder mit Bildern zu produzieren.
Clemens Rathe
Images within images — Images with images
How to create from surfaces and layers an artifact that wasn’t an art of platitudes and superficialities?
How to expose the canvas and make visible the foundation?
How to make the span, the difference between the disclosed canvas and the made-visible basis comprehensible, palpable?
How to gain any sense from this space with its high ground full of shallows, from this space between canvas and source in a tangible way?
How to give sentiment to such space between two surfaces that’s without depth but not flat either?
Louis Marin
Pictorial textures
Zurich: Diaphanes, 2006
p. 75
How to—so as to resume Louis Marin’s questions—mark the medial and operational modes of painting?
How to show the artistic and manipulative effects, usually concealed within representation itself?
And—far more crucial—how not to lose the swing in the whole ordeal?
Andreas Breunig succeeds in this by means of the radical restriction of his paintings to the plane, upon which he identifies those effects taking place on the surface and only mediating themselves through it. Individual pictorial elements are used as planar entities that seem to be cut out of the two-dimensional space or to float above it.
In this kind of layering of the picture plane, that is, the stratification of multiple levels, his painting converges with digital processing techniques
Thereby, he visualizes individual pictorial elements as variable objects arranged across the plane, seemingly detached from their ground. These can be one-dimensional outlines such as strokes or thin gradients of color, which generate the figure / ground relation and initiate surface movement, at the same time.
On the other hand, two-dimensional forms and color fields, which in their opaque flatness, eliminate any illusion of three-dimensional spatiality.
Such accumulations and layerings of one- and two-dimensional elements cause shifting rifts of differently positioned foregrounds and backgrounds, emphasizing the pictorial space in all its »superficiality«. Despite their layering and the manifold alternation of the in-front and beneath, the cut-out objects and lines ultimately remain bound to the uppermost level, the »work surface.« This supposedly accidental effect is only enabled by a long series of settings. In the repetitive process of self-imposed rules and idiocies, Breunig permanently strives to disrupt his own working methods to the max.
The limitation of possibilities serves Breunig to trick himself and to move as far away as possible from the obvious. Each element, each placement gives a direction and equally expands the field of possibilities, as each characterization of one or the other feature instantly involves yet another aspect. The limiting properties of the rule thus create referential width and indicate the directions into which an image could turn. With each new change of parameters and each new decision, something else is set in motion.
In the repeated modulation of this process, Breunig’s painting passes through different stages of creation. Each decision is made in response to the previous step. A poor, but maybe not fully absurd comparison: Generally, his working method resembles the computational processes of artificial intelligence [sic!], in which a chain of highly complex operations is carried out and processed in sequence.
Similarly, Breunig’s paintings are characterized by differing procedural stages that coexist, alternate or contradict each other. They reveal processes of creative manipulation and representation, in which the imponderable possibilities of representation as well as of the represented itself become vivid. According to their formation, Breunig’s paintings are mainly determined by fragments—abandoned beginnings and remnants, leftovers and other sediments of image processing.
What’s made visible thus appears only in allusions, which, like the indented traces upon a magic tablet, hint at past figures or, conversely, act as contours of an apparition still in the making. In the encounter of such fragments, superimpositions occur that constantly generate new images within the image. And even if the individual pictorial elements are discontinuous and heterogeneous, they nonetheless partake in the overall field of tension, which gets severely disturbed as soon as one detaches an element and attempts to ponder it by itself. They do not form a unity and still, they’d be incomplete without their respective contextual surroundings.
While beholding these differently situated yet equivalent elements, there often is a noticeable rupture within the temporal order of seeing.The wandering gaze slows or falters. Our eyes zigzag across the pictorial field, tracing a reference that diverts our interest and all of a sudden, guides us elsewhere, in turn are now crossed by a whole array of other references. We sense time passing but the gaze seemingly comes to no end.
This mode of procrastinating seeing is once again reinforced by the transfer of painterly questions from a single painting to entire series of images. Thus, many thematic and artistic confrontations can be found among the works of a series, which mutually influence each other and couple back on the individual paintings. These communicate with each other and expand as in each case, the paintings seen last remain present as after-images influencing our perception.
The contemplation of any painting is thus positively disturbed by the perception of the preceding ones. Accordingly, the paintings in the Frankfurt exhibition also turn into installative pictorial spaces. They transcend the immanent boundaries of their pictoriality and transform into something organic, rather resembling growth or sprawl of their surfaces. Fragments and references seem to interact with and among each other, seemingly allowing for not only the production of produce images within images but of images with images as well.
Clemens Rathe
Translation: Alexander Serner