Galerie Bärbel Grässlin

Georg Herold
APRÈS RASAGE
Apr 11May 23 2015

Vom 11. April bis zum 23. Mai zeigt die Galerie Bärbel Grässlin Après Rasage – eine Ausstellung mit Arbeiten von Georg Herold. Doch was passiert nach der Rasage? Die Frage bleibt, denn es gibt keine Antworten: er gibt keine Antworten. Denn nach der Rasur ist vor der Rasur und zu sehen ist, was zu sehen ist.

Die hintere Wand der Galerie ist tapeziert mit einer graphisch anmutenden Tapete. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich die trapezartigen dunkelbraunen Flächen jedoch als Teppiche, die ungesäumt auf farbigen Böden liegen und gemeinsam mit diesen die Wände hochkriechen. Up-Side Down schlummert – so Herold – schon seit mehreren Jahren in seinem persönlichen Archiv und darf nun endlich auf die Wand. Das Ausgangsmaterial hierfür sind Installationsaufnahmen, die 2009 bei einer Gruppenausstellung im Kunstnernes Hus in Oslo entstanden. Neurose und Psychose hießen dort die beiden Teppicharbeiten. Im Galerieraum werden sie nun an der Wand zu einem trompe-l’œuil, in dem nur noch die als Sockelleisten verwandten Ziegelsteine auf die ursprünglichen Dimensions- und Gravitationsverhältnisse verweisen. Sie bilden den großzügigen Hintergrund für eine umfangreiche Skulpturenschau.

Hier wird gezeigt, was Herold bewegt. Eine Materialforschung auf der Suche nach der Ausdehnung der Möglichkeiten seines Formpools. Dabei handelt es sich neben bespannten und unbespannten Dachlatten-Körpern, um Abgüsse und Variationen selbiger aus PU Schaum, Aluminium und Bronze. Installiert sind sie teilweise auf Tischen, wenn sie nicht selbst zum Tisch geworden sind wie etwa die Aluminiumskulptur badedas, auf der zwei Handtücher dezent auf den Ausstellungstitel verweisen. Die leidend bis wollüstig verzehrten Körper und Fragmente aus Herolds synonymen Materialien für Haut und Knochen – Leinwand und vor allem Dachlatten – bilden die sichtbare formale Basis, denn überall staken sie hervor, die ungehobelten Zeitgenossen. Leiber und Gliedmaßen streben der Abstraktion entgegen. Forciert wird dies durch die Studie unterschiedlicher Gussmaterialien. Der PU Schaum drückt sich mit 18-facher Ausdehnungskraft durch die Form und bricht an allen Verbundstellen aus ihr heraus. Die Grate, die so entstehen, lassen die Plastiken derartig schroff erscheinen, dass man an der Leichtigkeit des Materials zu zweifeln beginnt. Der in Bronze gegossene Körper-Tisch wirkt kalt, schwer und mächtig und der Aluminiumguss glänzt dumpf und warm. Hier stehen weniger perfekte Oberflächen im Vordergrund als vielmehr die Begeisterung für unterschiedliche Gussmaterialien, die Hohlkörper ausfüllen, nach Raum streben, ihn zum Zerbersten spannen und schließlich der Form erliegen.

Nah am Material war Herold schon immer und die Faszination dafür, wie konträre Materialien aufeinander treffen, durchzieht sein Œuvre. So spannte er für die Arbeit Deutschsprachige Gipfel (1985) Unterhosen auf Draht, goss für Hostess (1986) eine Handtasche mit Beton aus und füllte Teesiebe mit selbigem (Tea-bag Piece, 1987). Für die Arbeit Sack mit Nivea (1988) ließ er Ziegelsteine einen Leinensack ausbeulen. Wurde für diese Arbeiten noch der Trägheit des Füllmaterials freien Lauf gelassen, so lässt sich in Après Rasage nun am Objekt beobachten, was passiert, wenn man es in seine Grenzen weist; wie es sich verspannt, träge wird und als erstarrte Skulptur den Ausstellungsraum anfüllt.

Marina Rüdiger